
Rede an der Demo „Psychische Gesundheit für alle!“ vom 16. August 2025
Liebe Demonstrierende
Meine Sommerferien endeten dieses Jahr ziemlich abrupt – mit einem gebrochenen Handgelenk. Das war zwar schmerzhaft, aber daran gestorben wäre ich nicht. Trotzdem war es keine Frage, dass ich so schnell wie möglich die passende Behandlung bekam. So dass ich heute, drei Wochen später, hier stehen und zu euch sprechen kann. Wenn unser Körper versehrt ist, können wir darauf zählen, dass er rasch therapiert wird – auch wenn keine akute Todesgefahr besteht.
Anders, wenn unsere Psyche verletzt oder krank ist: Mit dem Anordnungsmodell wurde in der eh schon prekären Versorgungslage ein zusätzliches Nadelöhr geschaffen. Das bedeutet: Wenn wir nicht akut suizidgefährdet sind, müssen wir nach einer allfälligen Krisenintervention selber eine Praxis suchen, in der wir zumindest noch auf eine Warteliste kommen. Wenn wir denn die Kraft dafür aufbringen. Viele Betroffene verzichten auch deshalb auf die Behandlung, die sie nötig hätten.
Und die Antwort aus der Politik? Anstatt entschieden gegen den Mangel an Therapieplätzen vorzugehen, will die nationalrätliche Gesundheitskommission die Hürden für psychologische Hilfe noch höher setzen. Sonst könnten die Leute ja auf die Idee kommen, eine Psychotherapie wie ein Wellness-Wochenende in Anspruch zu nehmen…
Auch der Berner Regierungsrat stellt sich gegen Lösungen, um Psycholog*innen die Weiterbildung zu Psychotherapeut*innen zu erleichtern und so eine bessere Versorgungslage zu schaffen. Wiederholt hat er sich gegen die Übernahme der Ausbildungskosten von psychologischen Psychotherapeut*innen ausgesprochen. Er anerkennt zwar den Mangel an Therapieplätzen, behauptet aber, dass die Problematik Psychiater*innen betrifft und will von Massnahmen für die psychologische Psychotherapie absehen. Er nimmt so in Kauf, dass Psycholog*innen ihre teure Weiterbildung weiterhin selber finanzieren müssen – oder eben darauf verzichten. Der Grosse Rat hat dem Regierungsrat zumindest den Auftrag erteilt, Lösungen zur Finanzierung zu prüfen.
Neben persönlichen Herausforderungen leben wir in Zeiten, die stark verunsichern und uns psychisch krank machen können. Pandemien, Klimakatastrophen und Kriege betreffen uns alle. Immer mehr Menschen benötigen psychotherapeutische Begleitung, um an den Belastungen unserer Zeit nicht zu zerbrechen und nach Krisen wieder gesund zu werden. Wenn wir chronische Krankheiten mit entsprechenden Folgekosten verhindern wollen, müssen wir in die psychische Gesundheit genauso investieren wie in die körperliche Gesundheit.
Das bedeutet:
- Solidarität statt Stigmatisierung der Betroffenen;
- mehr Therapieplätze statt höhere Hürden;
- gute Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung für alle Psychotherapeut*innen – ob sie nun Medizin oder Psychologie studiert haben;
- bezahlbare Ausbildungsplätze in psychiatrischer UND psychologischer Psychotherapie;
Hier geht es nicht um Wellness oder Selbstverwirklichung, sondern um Investitionen in eine gesunde Zukunft. Danke, dass ihr euch dafür einsetzt!