14. September 2018, Mütterzentrum Bern West, Bern

Liebes MüZe-Team, liebe Mitarbeiterinnen und Vorstandsmitglieder, liebe Mütter, liebe Anwesende, Freundinnen und Freunde des Mütterzentrums Bern West
Um es gleich offen zu legen: Ich habe keine Kinder und ich wohne nicht in Bümpliz oder Bethlehem, sondern in der schönen, wenn auch ziemlich gentrifizierten Länggasse. Aber ich fühle mich wohl in Berns Westen. Und als mich Sonja Pihan und Judith Pörksen vor einem halben Jahr anfragten, ob ich nicht in den MüZe –Vorstand kommen wollte, musste ich nicht lang überlegen. Denn die Arbeit, die das Mütterzentrum macht, ist grossartig.
In den 30 Jahren, seit das MüZe gegründet wurde, ist in Sachen Frauenrechte etliches passiert, das meiste hin zum Guten. Und plötzlich finde ich mich wieder in Streitgesprächen mit Freunden, ob geschützte Räume für Frauen, wie das Mütterzentrum einer ist, noch legitim seien. Überflüssig seien sie, Gleichstellungsarbeit dagegen nur mit Männern möglich. Für Frauen reservierte Abende in Bars, der Frauenraum in der Reitschule – viele Männer empfinden sie als Affront, etliche Frauen verstehen ihre Notwendigkeit nicht mehr.
Doch sie alle erliegen einem Irrtum.  Natürlich haben wir Frauen uns in den letzten 30 Jahre mehr Rechte erkämpft. Wir haben heute  eine Mutterschaftsversicherung – wenn auch etwas mager im internationalen Vergleich. Wir haben ein Gleichstellungsgesetz – wenn auch mit grossem Verbesserungsbedarf. Vergewaltigung in der Ehe ist ein Offizialdelikt – so denn jemand hinschaut. Und natürlich haben wir uns mehr Raum genommen: Raum in der Öffentlichkeit, in der Politik, in der Wirtschaft. Doch nicht alle Frauen haben den gleichen Zugang zu diesem Raum. Und viel zu oft werden Frauen, die sich Raum nehmen, zurückgedrängt: Im öffentlichen Raum mit sexueller Belästigung oder roher Gewalt, in der Politik, in den Medien, in der Wissenschaft mit Anfeindungen und Drohungen, in der Wirtschaft durch Manager, die Frauen grundsätzlich weniger Leistung zutrauen als Männer. Ja, es braucht Räume für Frauen – immer noch. Nicht, damit sie sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Sondern damit sie sich dafür fit machen können. Und es braucht diese Räume besonders für Frauen, die nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern auch aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens, ihrer Sprache in die eigenen vier Wände zurückgedrängt werden.
Denn ist es nicht so, dass wir erwarten, dass Migrantinnen in der Mehrheitsgesellschaft höchstens als exotische Farbtupfer hervorstechen, ansonsten aber möglichst wenig auffallen? Dass wir von ihnen verlangen, sich zu integrieren, aber oft denkbar wenig tun, um sie dabei zu unterstützen? Sie müssen das schon selber tun, sich anpassen. Doch wer Hochdeutsch lernt und dann überall nur auf Schweizer Dialekt angesprochen wird, verliert die Motivation. Wer für sich selber sorgen möchte, aber mit ausländischem Namen und Diplom keine passende Stelle findet, verzweifelt. Wer Kontakte mit anderen Müttern knüpfen möchte, aber wegen unterschiedlicher Erziehungsvorstellungen abgelehnt wird, verschliesst sich.
Gelungene Integration ist eine gegenseitige Angelegenheit – und sie darf nicht Assimilation – Angleichung bis zur Unkenntlichkeit – bedeuten, sondern  vor allem Inklusion: Dazu gehören mit allen Eigenheiten, Teilhaben am Leben, Mitreden dürfen und können.
Im Mütterzentrum Bern West ist genau dies möglich. Das MüZe bietet den Frauen einen sicheren Raum für Begegnungen, wo sie keine Angst davor haben müssen, anzuecken. Es gibt ihnen die Möglichkeit zu arbeiten, sich weiterzubilden und Fuss zu fassen im 1. Arbeitsmarkt – eine wichtige Brücke zur Mehrheitsgesellschaft. Und wenn die Frauen verzweifeln ab der Fremdartigkeit des hiesigen Bildungssystems, an den ungewohnten Schweizer Ansprüchen an ihre Erziehungstätigkeit, ab der fremden Welt, in der ihre Kinder leben, erhalten sie im MüZe Unterstützung und Beratung. Das MüZe leistet einen riesigen Beitrag zur Integration – zur gegenseitigen Integration zwischen Schweizerinnen und Frauen mit Migrationshintergrund.
Doch das MüZe ist mehr als eine Integrationshilfe. Wer hier arbeitet oder sonst ein und aus geht, weiss, dass das MüZe vor allem Leben beherbergt: Lachen, Plaudern, Kinderwuseln, Spielen. Und nie bekomme ich hier zu spüren, was Menschen mit Migrationshintergrund in der Schweiz viel zu oft erfahren: Feindseligkeit oder Ablehnung. Im Gegenteil: Ich fühle mich willkommen, darf teilhaben am MüZe-Leben der Frauen und Kinder, denen in der Schweiz Teilhabe häufig verwehrt ist.
Liebe Anwesende, Ich bin dankbar, dass es das MütterZentrum gibt. Dass Sonja Pihan und ihr Team hier eine unbezahlbare Arbeit leisten. Und dass engagierte Vorstandsfrauen diese mittragen. Ich feiere die 30 Jahre MüZe noch so gern mit Ihnen. Und genau so gern werde ich versuchen, in den nächsten Jahren auch abgesehen von meinem politischen Amt als Vorstandsfrau ein Mehrwert für das MüZe zu sein. Denn dass das MüZe ein Mehrwert für Bern ist, hat es in den letzten 30 Jahren zur Genüge bewiesen.